Eine Szene aus dem Raum, in dem der Gute Rat für Rückverteilung arbeitet. Zu sehen sind Ratsmitglieder, aber auch die Boxen, in denen die Simultandolmeterscherinnen übersetzen. Einige Menschen klatschen, andere haben die Hände in der Höhe und winken, so wie Gehörlose Menschen Applaus anzeigen.
Demokratie heißt, alle Bürger und Bürgerinnen zu inkludieren. Im Guten Rat wird daher nicht nur auf Türkisch, Kroatisch und Dari übersetzt, sondern auch mit Gebärdensprache kommuniziert.
Hanna Fasching / Guter Rat für Rückverteilung

Die erste Halbzeit ist schon vorbei, am Samstag gehen jene 50 Menschen aus ganz Österreich, die repräsentativ sind für die gesamte Bevölkerung (alle über 16-Jährigen, die hier leben), bereits in die zweite Hälfte der Arbeitszeit, die für den "Guten Rat für Rückverteilung" zur Verfügung steht. An insgesamt sechs Wochenenden arbeitet der von der Wienerin Marlene Engelhorn initiierte und finanzierte Bürger:innenrat in Salzburg daran, 25 Millionen Euro, die Engelhorn von ihrer Großmutter geerbt hat, an die Gesellschaft "rückzuverteilen". Die 32-jährige Aktivistin, die gegen die strukturelle Ungleichverteilung von Reichtum eintritt, möchte auf diese Weise eine demokratische Entscheidung über das ihr völlig steuerfrei zugefallene Vermögen an die Allgemeinheit ermöglichen.

Bis 9. Juni haben die Ratsmitglieder noch drei Sessionen, in denen sie gemeinsam aushandeln werden, was mit dem Geld konkret passieren soll. Handlungsfelder gibt es viele, Ideen auch. Ein Thema, das immer wieder auch diskutiert wird, ist Bildung. DER STANDARD hat exemplarisch mit drei Personen, die im Guten Rat mitarbeiten, über den Zusammenhang zwischen Reichtum, Verteilungsgerechtigkeit und Bildung gesprochen.

Drei Mitglieder des Guten Rats für Rückverteilung: Selin (30), Friederike (74) und Dietmar (66).
Selin (li.), Friederike und Dietmar gehören dem "Guten Rat für Rückverteilung" an. Ein Thema, das ihnen besonders wichtig ist im Zusammenhang mit der Verwendung der Millionen, ist Bildung.
Fotos: privat

Selin (30), Kindergartenpädagogin

Für Selin war klar, dass sie im Guten Rat für Rückverteilung früher oder später über das Thema Bildung sprechen würden, ja, müssten: "Mit Bildung beginnt alles. Es fängt im Kindergarten an und geht dann bis ins hohe Alter", sagt die 30-Jährige. Wer etwas gegen ungleiche Lebenschancen tun wolle, müsse über Bildungschancen nachdenken, von frühester Kindheit an. Denn: "Unsere Zukunft liegt in den Händen der Kinder."

Aber auch in den Händen von Menschen wie Selin. Sie ist Elementarpädagogin und arbeitet in einem Kindergarten der Stadt Wien. Hier wurde die junge Frau, deren Eltern aus der Türkei stammen, geboren, wuchs dann in Deutschland auf und kehrte 2011 von Hannover nach Österreich zurück. Jetzt lebt sie mit ihrem Mann und zwei Söhnen im Kleinkindalter in Niederösterreich.

"Der Kindergarten wird noch immer nicht von allen als Bildungseinrichtung gesehen. Das müssen wir ändern."

Die 25 Millionen Euro, über die Selin im "kleinen" Österreich als eines von 50 Ratsmitgliedern, die aus ganz unterschiedlichen Lebenswelten kommen, mitentscheiden soll, seien zwar für sie persönlich sehr viel Geld, sagt sie, aber für eine langfristige Veränderung brauche es sicher viel mehr. Nicht nur Geld, aber eben auch.

Die schwierigen Rahmenbedingungen im Elementarbereich sind leidlich bekannt: zu wenig Personal, zu große Gruppen, aber auch mangelnde Anerkennung. "Der Kindergarten wird noch immer nicht von allen als Bildungseinrichtung gesehen – und wir nicht als Pädagoginnen", bedauert Selin, die wie viele ihrer Kolleginnen oft noch als "Tante" angesprochen wird: "Das müssen wir ändern."

Eine wichtige Aufgabe für den Guten Rat sieht sie daher darin, "Botschaften zu setzen, die der Politik und der Gesellschaft die Wichtigkeit der Elementarpädagogik vermitteln". Erst in zweiter Linie gehe es ihr darum, "gute Projekte – das müssen keine neuen sein – zu finden und am besten langfristig zu fördern". Welche das konkret sein werden, wird sich am 9. Juni zeigen. Drei Arbeitswochenenden haben die Ratsmitglieder bis dahin noch Zeit.

Dietmar (66), pensionierter Immobilienmanager

Reichtum ist relativ. Aus der Ferne betrachtet sind 25 Millionen Euro viel Geld. Je näher man ihnen aber kommt und je konkreter die Vorstellung davon wird, was man damit machen könnte, umso weniger scheint es zu werden. So erging es Dietmar ein bisschen. Je länger der Vorarlberger im Guten Rat mit den anderen 49 Menschen aus Mini-Österreich, das das echte, große Österreich repräsentiert, über die bestmögliche Verwendung des ihnen anvertrauten Geldes nachdenkt, umso mehr gewinnt er den Eindruck: Sooo viel ist das ja gar nicht.

Vor allem, wenn man an den Strukturen etwas ändern möchte. Etwa mit Blick auf "ein Herzensthema" des 66-Jährigen: Bildung. "Wenn man bedenkt, dass Österreich allein für die Pflichtschulen fast sieben Milliarden Euro ausgibt – da machen ein paar Millionen nicht sehr viel", sagt der Pensionist, der zuerst lange im Vertrieb eines Telekomunternehmens tätig war und später im Immobilienmanagement.

"Investitionen in Bildung bringen die größtmögliche Rendite, für den Einzelnen und die ganze Gesellschaft."

Er engagierte sich aber auch an die 25 Jahre ehrenamtlich in Jugendorganisationen wie den Pfadfindern und in der Erwachsenenbildung und möchte "den größten Hebel" finden, weil er "überzeugt ist, dass Investitionen in Bildung die größtmögliche Rendite bringen, für den Einzelnen und die ganze Gesellschaft". Bildung sei ja auch demokratiesichernd: "Wenn man immer mehr Jugendliche nicht mehr erreicht, ist das für uns alle schlecht."

Dietmar würde zum einen "direkt bei den Lehrkräften ansetzen. Schluss mit dem Lehrerbashing, das es zu lange gab. Wenn ich einen mit Begeisterung unterrichtenden Pädagogen habe, kann der 25 Kinder begeistern." Zum anderen, und das könne der Gute Rat nicht leisten, sagt er, müsse strukturell etwas geschehen, eine Systemreform – "pragmatisch, frei von Ideologie" – mit Ganztagsschulen, der späteren Trennung der Kinder und mit mehr Eingehen auf das einzelne Kind: "Das würde es gerechter machen."

An den Arbeitswochenenden wird getüftelt, bis 9. Juni gibt es noch drei Sessionen.
Hanna Fasching / Guter Rat für Rückverteilung

Friederike (74), ehemalige Volksschullehrerin

Mit 25 Millionen Euro ist man reich. Ja, oder so: "Ich habe ein reiches Leben hinter mir, und es ist noch immer reich, auch wenn ich nicht vermögend bin", erzählt Friederike. Die 74-Jährige meint "ein erfülltes Leben, materielles Versorgtsein und, viel wichtiger, persönliche Zufriedenheit". In diesem Sinne sei sie reich und glücklich. Zumal man ja wisse, "dass Geld alles andere als ein Garant für Zufriedenheit und Glück ist. Oft fehlt etwas ganz anderes." Bildung zum Beispiel sei eine wichtige Rampe in ein gutes Leben, sagt die ehemalige Volksschullehrerin.

Der Bildungsbereich ist eines der Felder, über das im Guten Rat für Rückverteilung intensiv nachgedacht wird: "Mit Bildung beginnt ganz viel. Mehr Bildung bedeutet meist auch mehr Gehalt. Manche erben, die brauchen vielleicht keine Bildung", lacht Friederike. Aber im Ernst: Wo ansetzen und Marlene Engelhorns Geld am besten einsetzen?

"Wir sollen die 25 Millionen Euro nicht verwenden, um Löcher stopfen, sondern so, dass sie wie Samen wirken und mehrere Pflanzen aufgehen."

"Ich würde bei den familiären Grundvoraussetzungen anfangen und möglichst viele Fördermöglichkeiten schon im Kindergarten und in der Volksschule anbieten", schlägt die zweifache Mutter, die in Salzburg lebt, vor. Sie wünscht sich auch "mehr Möglichkeiten für besonders gute Schüler. Wir müssen auch Spitzenbegabungen fördern." Etwa in der Art, "dass sie nicht den ganzen Fächerkanon gleich intensiv durchmachen müssen, sondern sich auf ihre Stärken konzentrieren können und andere Fächer vielleicht weniger stark gewichtet werden. Warum geben wir den Kindern nicht mehr Flexibilität in der Schule?", fragt die pensionierte Pädagogin, die noch immer von ihrem Beruf schwärmt: "Wenn man die Kinder mit sechs Jahren kriegt und sie vier Jahre begleitet, kann man so viel geben und vermitteln, das ist so erfüllend, sie beim Wachsen zu begleiten."

Ähnliches möchte Friederike mit dem Guten Rat erreichen, denn sie hofft, "dass wir die 25 Millionen nicht verwenden, um Löcher zu stopfen, sondern so, dass sie wie Samen wirken und mehrere Pflanzen aufgehen und Früchte daraus werden, von denen viele lange etwas haben." (Lisa Nimmervoll, 3.5.2024)